Flensburger Tageblatt: Tausende protestieren gegen Unterrichtsausfall
Eltern und Schüler haben gestern in Satrup und Kappeln (Kreis Schleswig-Flensburg) für eine bessere Unterrichtsversorgung demonstriert. Mehr als 2500 Menschen beteiligten sich an den Aktionen. Zu den Protesten hatten die Landeselternbeiräte aufgerufen.
„Ziel ist es, die Proteste im ganzen Land aufflammen zu lassen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirats der Gemeinschaftsschulen, Benita von Brackel-Schmidt. Hintergrund sind drohende Einschnitte in der Unterrichtsversorgung durch den in Folge der Schuldenbremse geplanten Abbau von jeweils 365 Lehrerstellen in diesem und den folgenden beiden Jahren. Lehrerverbände rechnen damit, dass alleine durch die Stellenkürzungen bis zu sieben Prozent der Schulstunden ausfallen und fordern die Landesregierung auf, auf die Streichungen zu verzichten.sh:z
Eltern fürchten noch mehr Fehlstunden
Tausende gehen gegen die Streichung von Stellen an Schulen auf die Straße – die CDU fordert 300 neue Lehrer
Satrup/Kappeln/Kiel Die Wut wächst: Mehr als 2500 Schulkinder, Jugendliche und Eltern haben gestern in Satrup und Kappeln (Kreis Schleswig-Flensburg) gegen Lehrermangel und anhaltenden Unterrichtsausfall demonstriert.
Jeweils 365 Stellen will die Koalition in diesem und den beiden nächsten Jahren streichen. Dahinter steckt die Schuldenbremse in der Landesverfassung. Elternbeiräte fordern den Verzicht auf die Stellenstreichung und verweisen auf die von der Koalition beschlossenen Schulreformen.
Gut möglich, dass die Demonstration gestern erst ein Auftakt war. „Ziel ist es, die Proteste im ganzen Land aufflammen zu lassen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirates der Gemeinschaftsschulen, Benita von Brackel-Schmidt.
Noch am Vortag hatte Bildungsministerin Waltraud Wende um Verständnis für die Stellenkürzungen gebeten. „In den beiden nächsten Schuljahren wird es schwierig bleiben“, schrieb Wende in einem Brief an die Elternbeiräte. Eine deutliche Verbesserung werde es 2016 geben. Dann verlässt ein doppelter Abiturjahrgang die Schulen, ab 2015 stehen 36 Millionen Euro zusätzlich für Bildung bereit, die der Bund von den Ländern bei der Bafög-Finanzierung übernehmen will. Die CDU will mit der Hälfte dieser Summe 300 neue Lehrerstellen schaffen, den Rest zur Hochschulfinanzierung verwenden. In diesem Sinne äußerte sich auch der SSW. Dessen Bildungspolitikerin Jette Waldinger-Thiering räumte ein, „dass der Stellenabbau in diesem Schuljahr eine Belastung der Schulen darstellt“.
Bisher kalkuliert das Bildungsministerium mit einem Unterrichtsausfall an den allgemeinbildenden Schulen von sechs Prozent für das kommende Schuljahr. Nach Einschätzung von GEW-Landeschef Matthias Heidn droht sogar eine Ausfallrate von sieben Prozent. Hinzu kämen noch Ausfälle wegen Krankheit, „das macht die Sache richtig dramatisch“. Es bahne sich eine „katastrophale Situation“ an. Heidn forderte die Regierung auf, auf die Streichung von Lehrerstellen zu verzichten.
Rückendeckung für die Elternproteste kam aus den Reihen der Opposition. CDU-Bildungspolitikerin Heike Franzen räumte ein, auch eine unionsgeführte Landesregierung „hätte keine 100-prozentige Unterrichtsversorgung sicherstellen können“. Die Koalition aber habe die Probleme vergrößert. So kosteten allein die Umwandlung von Regional- und Gemeinschaftsschulen 250 Lehrerstellen, die geplanten Oberstufen an Gemeinschaftsschulen weitere 200 Planstellen. „Die Probleme sind hausgemacht und kommen nicht nur durch die Schuldenbremse“, sagte Franzen. Bildungsministerin Waltraud Wende, die die Lücke bei der Lehrerversorgung selbst mit über 1200 Stellen angegeben habe, „muss überlegen, ob dies der richtige Job für sie ist“. Die Koalition müsse aufpassen, „dass sie die Schulen nicht kaputt reformiert“.
Die FDP-Bildungspolitikerin Anita Klahn verwies auf eine Online-Petition für „100 % Unterrichtsversorgung“, die inzwischen von 5600 Bürgern unterzeichnet sei. „Der Ruf nach einer besseren Bildungspolitik im Land wird lauter“, sagte Klahn.
Ins selbe Horn stieß der Pirat Sven Krumbek: „In Schleswig-Holstein brennt die Luft“. Eltern ließen es sich nicht mehr gefallen, dass die Bildung einer ganzen Generation „in Grund und Boden gespart wird“.
Peter Höver
Lautstarker Ruf nach mehr Lehrern
In Satrup, Kappeln und Süderfahrenstedt demonstrierten gestern Eltern und Schüler für bessere Unterrichtsversorgung!
Wer im Kieler Regierungsviertel keinen Gehörschaden hat, muss den lautstarken Protest gehört haben. Mehr als 2000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene machten im Mittelangler Ortsteil Satrup ihrem Unmut über die von Bildungsministerin Waltraud Wende angekündigte Streichung von Lehrerplanstellen Luft. In Kappeln zogen rund 800 Menschen mit Trillerpfeifen, Rasseln und Plakaten von der Klaus-Harms-Schule zum Hafen und in Süderfahrenstedt waren mehr als 300 Eltern – teilweise mit ihren Kindern – zum Protest gegen die Lehrerversorgung zusammengekommen.
Elternvertreter aller Schulen hatten die Initiative ergriffen und die Protest-Demonstration in Satrup organisiert. Waren es im Schulzentrum bereits über 1500 Protestierende kamen auf der Satruper Zentralkreuzung noch einmal über 500 große und kleine Protestierer der Regenbogen-Grundschule hinzu.
Die Schüler, mit allen möglichen Krachmachern und Transparenten ausgestattet, zeigten sich außerordentlich gut informiert über die Ziele der Protestaktion. Struensee-Schülerin Nina will nicht, dass die Unis bei der Geldverteilung so gut abschneiden und die Allgemeinbildenden Schulen das Nachsehen haben. „Wenn wir dumm bleiben, können wir nicht studieren“, lautet ihr Argument. Der elfjährige Finn bekennt: Schulfrei sei schon schön, aber nicht zum Preis von immer weniger Bildung. „Kein ordentlicher Schulabschluss, kein ordentlicher Beruf“, lautet sein Resümee. „Wie sollen wir bei verkürztem Unterrichtsangebot unser Leistungsspektrum schaffen?“, fragt sich Frauke Wohlenberg besorgt und befürchtet, dass Schleswig-Holsteins Schüler in Zukunft weniger Chancen haben.
„Im Ländervergleich werden unsere Kinder immer weiter absacken“, befürchtet Claudia Willers als besorgte Mutter und wird unterstützt von Petra Zimmermann, die anführt, ihren Kindern könne am Ende der Schulzeit ein halbes Jahr Unterricht fehlen.
Die Besorgnis der Handwerksbetriebe machte Kerstin Kramp deutlich. Bereits jetzt beklagen die Unternehmen den Bildungsstand der Schüler. Als Unternehmerin habe sie Angst, in Zukunft keine gut ausgebildeten Jugendliche für den Betrieb zu bekommen.
Die Befürchtung, im Bundesvergleich weiter nach hinten zu fallen, ging auch bei den Gymnasiasten um. Berit und Leni beklagten den schon jetzt erheblichen Unterrichtsausfall, der dazu führen könne, dass sie schlechte Chancen beim Zentralabitur haben.
„Wir fordern 100 Prozent Lehrer für unsere Schüler“, erklärte Elternvertreter Andreas König und warnte davor, die Klassenstärke zu erhöhen. Offensichtlich erwarten die Elternvertreter von Bildungsministerin Wende nicht mehr allzu viel. Sie forderten von Ministerpräsident Albig, die Lehrerversorgung der Schulen sicherzustellen.
Erheblichen Protest verursachte die Mitteilung von Allan Loges, Vorsitzender des Schulelternbeirates der Gemeinschaftsschule. Er berichtete von einem Sachstandsbericht, den 16 Schulleiter von Gemeinschaftsschulen erstellt haben, um die Eltern über die Unterrichtsversorgung zu informieren. Das Kieler Bildungsministerium prüfe nun, so Loges, ob dieser Info-Brief an die Eltern reiche, um disziplinare Maßnahmen einleiten zu können. Sanktionen fürchteten offenbar auch die Lehrer: Sie hielten sich bewusst von der Demonstration fern – offenbar hatte es deutliche Ansagen aus dem Hause der Bildungsministerin gegeben.
In Süderfahrenstedt hatten die CDU-Landtagsabgeordneten Johannes Callsen und Heike Franzen sowie die Bundestagsabgeordnete Petra Nicolaisen im Anschluss an die Protestveranstaltung zu einem Meinungsaustausch gebeten. Eine für den Vormittag in Böklund geplante Protestveranstaltung der Eltern musste wegen eines Verbots des Schulamtes abgesagt werden.
Peter Hamisch/Claus Kuhl