Panorama 3: Schleswig Holstein: Miese Unterrichtsversorgung
In Schleswig-Holstein fehlen Lehrer. Schätzungen zufolge müsste es landesweit rund 1.250 Stellen mehr geben. Die Folge des Stellenmangels: Der Unterricht kann nicht wie im Lehrplan vorgesehen stattfinden. Viele Stunden fallen aus, zuweilen können Unterrichtsfächer sogar für ein ganzes Halbjahr nicht gegeben werden.
Die Unterrichtsversorgung liegt in Schleswig-Holstein nur bei 94 Prozent. Das bedeutet, dass von vornherein sechs Prozent Ausfall programmiert ist – selbst wenn kein Lehrer krank wird. Soll der vorgesehene Unterricht gewährleistet werden, müsste die Versorgung bei mehr als 100 Prozent liegen.
Fernsehbeitrag: hier
Stundenausfall summiert sich auf ein halbes Jahr
Schulleiter Maik Schulte von der Struensee-Gemeinschaftsschule in Satrup hat ausgerechnet, dass sich an seiner Schule allein der eingeplante Stundenausfall bis zur zehnten Klasse auf ein halbes Jahr summiert hat. In jedem Jahrgang muss er Stunden streichen, die eigentlich stattfinden sollen: „Wir haben im fünften Jahrgang aus drei Stunden Naturwissenschaften zwei Stunden gemacht, im sechsten Jahr eine Stunde Weltkunde gestrichen und im achten Schuljahr eine Stunde Berufsvorbereitung streichen müssen.“
Weniger Vorbereitung auf das Abitur
Besonders problematisch ist der Stundenausfall für Schüler, die sich auf Abschlussprüfungen vorbereiten müssen: „Wenn ich an die Abschlüsse denke, an das Zentralabitur, dann haben die Schüler weniger Stunden Vorbereitung für diese zentralen Prüfungen“, so Schulleiterin Barbara Langlet-Ruck vom Bernstorff-Gymnasium. Sie ist davon überzeugt, dass der Sparkurs der Landesregierung zu Lasten der Schüler geht. Oft müssen Klassen zusammengelegt werden, damit alle Schüler unterrichtet werden können: „Natürlich kann ich mich um den Einzelnen weniger kümmern und es ist deutlich schwieriger, denen gerecht zu werden“, beschriebt Lehrerin Marlene Brammer den Alltag.
Zeitmangel und Frustration an vielen Orten
Andere Schule, gleiches Problem: Mathe-Unterricht in der neunten Klasse der Gemeinschaftsschule bei Lehrerin Kristina Eggert. Sie kritisiert, dass ihr zu wenig Zeit zur Übung und Zeit zur Festigung bleibt, oft bleibe den Kindern nur die Möglichkeit zu Hause zu üben. „Wenn ich als Lehrer motiviert bin und merke wir werden von außen die Bedingungen nicht so geschaffen, dass ich das kann, dann ist es ein sehr frustrierendes Gefühl.“
Auch Schülerinnen und Schülern sind frustriert: Die 14-jährige Julia Csenteri geht in die neunte Klasse des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums in Quickborn. Immer häufiger muss sie Unterrichtsstoff zu Hause nacharbeiten, denn im Unterricht bleibt kaum Zeit zum Vertiefen. In Mathe verlor sie irgendwann ganz den Anschluss, so dass sie nun Nachhilfeunterricht nimmt. Die Mathe-Lehrerin war immer wieder krank geworden, der Unterricht fiel häufig aus, die wechselnden Vertretungslehrer boten keine Kontinuität: „Es ist bei meiner ganzen Klasse so, dass wir alle hinterher gehangen haben und meine jetzige Mathe-Lehrerin das alles mit uns aufgearbeitet hat, weil wir ein halbes Jahr hinterher hingen.“
Kein Land gibt weniger für Bildung aus
Schleswig-Holstein ist nicht nur bei der Unterrichtsversorgung Schlusslicht, auch bei den jährlichen Bildungsausgaben belegt das Bundesland deutschlandweit den letzten Platz: Gerade einmal 5.200 Euro gab es pro Schüler im Jahr 2011 aus. Mecklenburg-Vorpommern (6.000 Euro) und Niedersachsen (5.600 Euro) stehen im Mittelfeld. Hamburg gibt mit 7.200 Euro am meisten für die Schulbildung der Kinder aus.
Schuldenbremse soll am Lehrermangel Schuld sein
Die ehemalige Bildungsministerin Waltraud Wende räumte ein, dass Lehrkräfte im Land fehlen. Die Landesregierung hatte zwar beschlossen, die Bafög-Millionen vom Bund fast ausschließlich in Lehrerstellen zu investieren, so dass 728 Stellen erhalten blieben, dennoch werden in den kommenden Jahren weiterhin Lehrerstellen abgebaut.
Auf die neue Bildungsministerin Britta Ernst wartet viel Arbeit.
Die Landesregierung argumentiert mit der Schuldenbremse, die in der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung verankert ist. Sie sieht vor, dass die Neuverschuldung des Landes reduziert wird, das ginge nur mit dem Abbau von Stellen. Nach dem Rücktritt von Bildungsministerin Waltraud Wende muss sich Nachfolgerin Britta Ernst nun der Aufgabe stellen. Doch neue Lehrerstellen wird es wohl auch unter ihr erst einmal nicht geben.
von Marika Gantz & Linda Luft